„Heymlich Gemach und stilles Örtchen“ - Die Südwestpfalz Gästeführer hatten eingeladen.
Gästeführung zum Toilettengang auf Burgen im Mittelalter
Der schöne Spätsommertag am 17. Sep. 2021 war geradezu prädestiniert, auf Abenteuerreise zum Gräfenstein zu gehen. Die Südwestpfalz Gästeführer-IG hatte dazu eingeladen, „heymlich Gemach und stilles Örtchen“ auf der stauferzeitlichen Burg in Augenschein zu nehmen. In mittelalterlicher Tracht führten Vera Ulrich und Patrick Liebel in den Rollen der leiningischen Magd Brida und dem Waffenknecht Volz durchs Programm.
Die Hygieneeinrichtungen auf Gräfenstein
Das „stille Örtchen“ auf Burg Gräfenstein ist nicht nur am für seine Zeit hygienisch sehr fortschrittlichen Abortturm festzumachen. Auch im sog. „Kasernement“, den Gebäuden in der südlichen Unterburg, gab es je Wohneinheit einen Aborterker. Da kam einiges zusammen. So wurden nach den Mahlzeiten auch die Essensreste über den Abortschacht entsorgt. Dieser wurde von Zeit zu Zeit entleert und mit den Fäkalien der Tiere vermischt. Diese Mischung diente wohl als Dünger für die Bewirtschaftung der Felder.
Die „stillen Örtchen“ waren auf der Burg den Hochgestellten vorbehalten, unsere Magd und auch der Knecht, so erfuhren wir Gäste, ließen es fallen, wo sie gerade waren. Überall stank es und trotz Abortturm watete man im Gesindebereich durch die Hinterlassenschaften … und da wurde nicht unterschieden, ob es vom Menschen oder vom auf der Burg gehaltenen Vieh stammte. Hygieneregeln gab es so gut wie nicht. Da auf dem Gräfenstein kein Brunnenwasser gefördert werden konnte, musste entweder (schmutziges) Brauchwasser aus Zisternen oder das kostbare Nass von Quellen mit Wassereseln herbeigebracht werden. Da verwundert es nicht, dass im Mittelalter Krankheiten kursierten und Schädlingsplagen die Regel waren.
Gnade der späten Geburt 🙂
Nachdem ich als Teilnehmer der Führung dies alles gehört hatte, beschlich mich das Gefühl, für die „Gnade der späten Geburt“ dankbar zu sein.
Im Nachgang zum Rollenspiel erhielten die Teilnehmer der Führung noch eine Einweisung in den Schwertkampf und über den Einsatz von Pfeil und Bogen. Mit einem kleinen Schmaus klang der kurzweilige Nachmittag in netter Runde aus.
Mein Fazit:
Das war keine Burgführung im klassischen Sinn, sondern ein mit viel Herzblut der Gästeführer erarbeitetes Programm zur Vermittlung von Hintergrundwissen über das gar nicht so leichte Leben im Mittelalter. Die Gästeführer haben noch viele weitere Programme im Angebot , auch für weitere südwestpfälzische Burgen. Ich werde an dem ein oder anderen sicherlich noch teilnehmen.
Zur Geschichte der Burg Gräfenstein
Die Erbauung der Burg Gräfenstein erfolgte vermutlich in der Wende des 12. auf das 13. Jahrhundert. Die Geschichte der Burg ist geprägt durch Verpfändungen und permanente Besitzerwechsel, bis sie dann 1501 vollständig an Graf Emich VIII. von Leiningen-Hardenburg fiel, der für den Ausbau der nördlichen Unterburg, des Zwingers und der Toranlagen sorgte. Pfalzgraf Ruprecht von Zweibrücken-Veldenz ließ die im Bauernkrieg zerstörte Burg prächtig auferstehen. Nachdem er 1544 verstarb, geriet die Burg ins Abseits. Im Dreißigjährigen Krieg brannte der Gräfenstein bei einer Belagerung völlig aus und ist seither Ruine. Neben dem siebenseitigen Bergfried ist vor allem der Abortturm kunsthistorisch interessant. Mehr zu Burg Gräfenstein