Analyse der Wehrfunktionen von Neuscharfeneck

Beurteilung der Möglichkeiten des Verteidigers von Neuscharfeneck (15. Jh.)

Historische Zeichnung einer Blide
Historische Zeichnung einer Blide
Quelle: Mönch Philipp 1496, Bibliotheca Palatina, ID 16002.

Der Ausbau Neuscharfenecks durch KF Friedrich I. (dem Siegreichen) v. d. Pfalz zur Artillerie tragenden Burg ab 1469 geschah zu einer Zeit, wo die Blide noch nicht ganz von der Bildfläche verschwunden war, aber immer mehr von der Kanone verdrängt wurde. Der letzte Einsatz einer Blide auf pfälzischem Boden erfolgte vermutlich 1504 gegen Alt-Wolfstein. Die erste Pfälzer Burg, die von Feuerwaffen gebrochen wurde, war 1353 die Burg Hohenfels am Donnersberg.

Wie oben dargelegt, betrug die Kampfentfernung für Blide und für mauerbrechende Artillerie Ende des 15.Jahrhunderts etwa 300 Meter,  so dass ein Angreifer seine Geschütze dicht vor der Burg – in Sichtweite des Verteidigers – aufstellen musste.

Ein wirksames zeitgenössisches Verteidigungskonzept für die Burg  musste demnach umfassen:

    1. ein wirksames Feuer gegen gegnerische Artilleriestellungen (= offensives Abwehrkonzept) und
    2. eine wirksame Abwehr gegen angreifendes Fußvolk (= defensives Abwehrkonzept) und
    3. eine ausreichende Widerstandsfähigkeit gegen feindlichen Beschuss (= defensives Abwehrkonzept)

I. Feuer auf die Geschützstellungen eines Angreifers vor der Schildmauer

    • auf der Dachplattform für lange, weitreichende Rohre (Falkonet / Achtelschlange, 1-Pfünder)
    • im Baukörper der Schildmauer für kürzere schwere Rohre (Viertelkartaunen, 12-Pfünder)

eingerichtet.

Möglichkeiten des Einsatzes von Distanzwaffen gegen die Burg im 15./16. Jh.

II. Abwehr eines Frontalangriffs

  Wie bereits in der Geländebeurteilung angesprochen, erlaubte das steil  abfallende Gelände im Norden und Süden der in Spornlage erbauten Burg ein Heranführen von Belagerungsgeschützen nur  aus Osten entlang des Höhenkamms. Von dort aus konnten durch Beschießung mit schweren Kalibern eine Breschierung im Mauerwerk versucht werden, durch die dann Fußvolk  eindringen sollte.

Um einen Angriff durch oder über die mächtige Schildmauer zu verhindern, musste der Halsgraben ausreichend tief und breit sein. Breit, um das Heranrücken an die toten Räume unmittelbar an der Schildmauer zu erschweren.  Tief, um die zum Überwinden des Hindernisses erforderliche Zeit zu verlängern, während der ein vernichtendes Abwehrfeuer aus Hakenbüchsen und Kanonen (auf kurze Distanz mit Hagelschuss) auf das schutzlose Fußvolk gerichtet wurde.

  Der Angreifer musste also vielmehr versuchen, den Halsgraben zu umgehen, um an den  verdickten Enden der Schildmauer vorbei zu den weniger stark befestigten Teilen im Westen (links) vorzudringen. Zur Abwehr dieses Umgehungsversuches mussten auf der Schildmauer zahlreiche Pulverwaffen eingesetzt werden, die flankierend vor den Halsgraben und entlang des  südlichen Bering und der nördlichen Zwingermauer wirken konnten.

Die Hauptlast des “Nahkampfes” musste also mit Pulverhandwaffen geleistet werden. In Waffenverzeichnissen der Burg wurden alleine im Bereich der Schildmauer in Summe 44 Hakenbüchsen verzeichnet.

Um die Annäherungswege für die Umgehung bereits auf größere Entfernung unter Feuer nehmen zu können, mussten auf der Dachplattform  Stellungen für weitreichende Rohre (Falkonet bzw. Achtelschlange, 1-Pfünder) eingeplant werden.

Vorkehrungen für Abwehr eines Frontalangriffs gegen die Burg im 15./16. Jh.

III.  Widerstandsfähigkeit gegen feindlichen Beschuss

Wie eingangs (Geländebeurteilung) dargelegt, war ein Beschuss durch Blide oder Kanone nur aus Osten möglich. Aufgrund der limitierten Reichweite dieser Waffen von 200-300 Metern, war der westliche Teil der Burg mit dem neu angelegten Haupteingang vor der Waffenwirkung zeitgenössischer Belagerungsartillerie im ausgehenden 15. Jahrhundert noch völlig sicher.

Die Widerstandsfähigkeit gegen Feindfeuer war also an der Ostseite zu erhöhen, wo bislang der stauferzeitlichn Schildmauer die (passive) Mantelfunktion gegen Steinschleudern zugedacht war. Der Ausbau der Schildmauer zum Waffenträger für Kanonen ab 1469 war mit einer deutlichen Erhöhung und Verstärkung der Mauern verbunden und zum Zeitpunkt des Ausbaus zur Kanonenburg “Stand der Technik”.

Die Erfahrungen aus der Belagerung der südhessischen Burg Tannenberg umsetzend, bei der erst die Explosion des Pulvers im Bergfried die Besatzung zur Übergabe zwang,  mussten beschusssichere Pulverkammern im Innern der Schildmauer vorgesehen werden.

Auf der oberen Schildmauer-Plattform waren Kanonen mit einer größeren Reichweite platziert. Die Höhe der Schildmauer konnte die Überhöhung des Hangs ausgleichen.
Wegesysten in der mächtigen Schildmauer. Eigene Aufnahme mit freundlicher Genehmigung des Neuscharfeneckvereins